Schon seit vielen Jahren hat ein Bläserseminar Tradition, das alljährlich in Höchst/Odw. stattfindet: in Fachkreisen ganz einfach „Dritter Advent” genannt. Wie berühmt das Seminar wirklich ist, erkennt man daran, daß der Name „Dritter Advent” nicht nur bei Bläsern verwendet wird, sondern inzwischen ganz allgemein für den vorletzten Sonntag vor Weihnachten verwendet wird. Viele wissen dabei schon gar nicht mehr, daß das Seminar dem Sonntag den Namen gab und nicht umgekehrt.

In diesem Jahr gab es eine Besonderheit. Unser LPW Frank Vogel wollte einen Komponisten engagieren, der in unserer Bläserliteratur Bedeutung hat, und so den Menschen greifbar machen, den wir sonst nur in Form seiner Noten aus verschiedenen Heften kennen. Leider ist es nicht gelungen, Johannes Pezelius zu gewinnen („Empfänger nicht bekannt”), auch bei Samuel Scheidt gab es Probleme, denn er ist inzwischen leider verstorben. Ein Schreiben an Johann Sebastian Bach blieb auch unbeantwortet. Wir wollen ihm mal nichts Böses unterstellen und gehen davon aus, daß er aus Termingründen nicht antworten konnte.

So landete Frank Vogel schließlich bei einem Vogel namens Oliver Groenewald, dem wir einige wunderbare Jazz-Bearbeitungen verdanken und der in letzter Zeit durch sein Heft „Life” stärkere Verbreitung in unseren Posaunenchören findet. Zu aller Verwunderung übte er aber keine Gabrieli-Doppelchöre, sondern eigene Jazz-Arrangements mit uns ein.

Auch der weniger kundige Leser wird ahnen, daß sich Jazz (früher sagte man Neeschermusig, aber das ist heute political incorrect) ein klein wenig von klassischer Musik und von Chorälen, von denen sich der Posaunenchorbläser in erster Linie ernährt, unterscheidet. Abgesehen von Rhythmik und Harmonik spielt die Artikulation eine ganz wesentliche Rolle. Akzente in verschiedenen Formen, Bindungen, Betonungen, breite Noten müssen absolut exakt eingesetzt werden, damit diese Musik wirkt. Dabei verzeiht der Jazz viel weniger, als dies die klassische Musik tut, wenn sie etwas ungenau gespielt wird (und das ist schon schlimm genug und kann einem Posaunenchorleiter manchmal die Tränen in die Augen treiben).

Akzente können einem in ganz verschiedenen Formen begegnen. Eine Form, die das Wochenende wesentlich prägte ist der „hat” (Hut), oder auch „ house top accent” genannt. Die betreffende Note erhält eine Betonung und wird etwas kürzer als „normal” gespielt, aber länger als Staccato. Dafür nicht so heftig betont wir ein „breath accent”. Klar? Da Posaunenchorbläser aber manchmal, wie normale Leute auch, etwas schwerfällig sind, genügt es natürlich nicht, einmal darauf hinzuweisen, sondern der Verweis auf den „hat” zog sich wie ein roter Faden durch das ganze Wochenende. Optisch unterstützt wurde das dadurch, daß Oliver grundsätzlich eine Wollmütze aufhatte. Klar, wenn man Gabrieli ohne Wollmütze dirigiert und sich Jazz von Gabrieli in einigen Details unterscheidet, dann wird Jazz eben mit Mütze dirigiert. So stelle ich mir das jedenfalls vor.

Oliver Groenewald und Frank Vogel
Oliver Groenewald und Frank Vogel beim wohlverdienten Feierabend

Was gab es sonst noch an dem Wochenende? Wie immer kamen allerhand Verrückte zusammen, denn irgendwie ist dieses Seminar anders als andere. Dementsprechend herrschte wieder die gewohnt gute Stimmung. Auch die Huldigung an Richard Wagner konnte nicht ausbleiben, sie erfolgte samstags abends in Form einer extremen Kurzfassung der Tannhäuser Ouvertüre. Abweichend von den sonst üblichen Traditionen wurde diesmal allerdings nicht sonntag im Gottesdienst gespielt. Das hätte zuviel von der kostbaren und teuer bezahlten Zeit mit Oliver Groenewald gekostet. Statt dessen nutzten wir den Sonntag morgen noch für die Arbeit mit Olli, und das hat sich auch voll gelohnt. Am Ende bestand bei vielen der Wunsch, wieder einmal ein Seminar mit Oliver Groenewald durchzuführen. Nein, nicht wegen der Musik! Aber wann hat man schon mal (außer beim Kurrendeblasen im Winter) einen Dirigenten mit Mütze?

Axel Manschitz