Ein Dirigent im Himmel
oder: Die ganze Wahrheit, warum Blech immer zu laut ist
„Posaunen an dieser Stelle ab Takt 253 bitte deutlich lauter!“ – das waren die letzten Worte
von Maestro Caplin.
Als er wieder zu sich kam, hörte er eine freundliche Stimme
„Hallo und herzlich willkommen im Himmel. Zur Abteilung Musiker bitte die dritte Wolke
links“
„Hä, Wie? Was ?“
„Ja, das ist normal, dass Sie erstmal verwundert sind. Mein Name ist Petrus, sie befinden
sich an der Himmelspforte“
“Was ist passiert?„
„Nun, Sie haben gegen den elementaren musikalischen Grundsatz verstoßen "NEVER tell
the trombones to play louder!", sind vor Schreck nach hinten umgekippt und von Ihrem
Dirigentenpult gefallen. Keine Panik, das ist unserm Chef auch schon passiert.“
“Wem? Was? Wie?„ Maestro Caplin war noch immer leicht verwirrt.
Ein freundlicher weißbärtiger alter Herr materialisierte sich.
„Ich erklär dir das“ sagte er freundlich „da war damals diese Sache mit Jericho“
„Ach nee, nicht diese olle Kamelle!“
„Doch doch, wirklich. Das war so: ich hatte den Posaunen gesagt, sie sollten 6 mal ganz
still um die Stadt marschieren und dann beim siebten Mal auf einmal so laut wie möglich
reinblasen. Ich wollte die Leute von Jericho ja nur erschrecken,weißt du. Aber als die
Posaunen dann losgelegt haben, das war so ein Krach, ich hab mich selbst so erschreckt,
dass ich rückwärts von meiner Wolke gefallen bin, ja und deshalb gabs dann dort ein
kleines lokales Erdbeben und das hat die Stadt dann komplett zerlegt. Also nicht wirklich
meine Schuld! Aber die Posaunen waren so unter Schock, dass sie das so abgespeichert
haben und seitdem spielen die Posaunen halt entweder garnicht oder volles Rohr.“
Gott seufzte.
„Obwohl ich fast glaube, sie KÖNNTEN auch leise spielen wenn sie wollten. Erst ganz
kürzlich war ich in einem Adventskonzert, wo ein Posaunenchor mit 30 Leuten so leise
und sauber gespielt hat, dass man den mitsingenden Kirchenchor hören und verstehen
konnte und das waren nur unwesentlich mehr Sänger/innen.“
„Ach was“ rief Maestro Caplin „das kann doch garnicht sein!“
„War wirklich so, ich war dabei!“ Gott zuckte die Schultern „Aber ich denke, es macht ihnen
einfach mehr Spaß laut zu spielen und diese Jericho-Geschichte schieben sie nur als faule
Ausrede vor sich her. Posaunen hast du halt nie wirklich unter Kontrolle, die haben immer
sowas leicht subversives!“
„Wem sagst du das“ seufzte Maestro Caplin „davon kann ich auch ein Lied singen“
„Also dritte Wolke links, Abteilung Musiker?“ wiederholte Petrus
„Nein, bitte nicht zu den Musikern“ flehte Maestro Caplin „ich hab sie so satt, diese
Primadonnen mit ihren Extravaganzen.“
„So schlimm?“
„Ach, fragen Sie nicht! Die Pauker spielen in ihren Pausen Karten im Orchestergraben. Die
Flöten oder die Holzbläser allgemein beschweren sich immer, sie würden nicht gehört.
Den Geigen ist es immer zu kalt oder es zieht, Sag ich sie sollen sich doch einen Schal
umbinden, sagen sie, so könnten sie ihre Geige nicht richtig halten. Ist es zu warm,
rutschen ihre Finger und das Instrument verstimmt sich. Andere können ihre Noten nicht
mehr lesen, aber wollen keine Brille aufsetzen, weil sie den Dirigenten dann nur
verschwommen sehen, ständig ist irgendwas, ich mag das einfach nicht mehr!“
„Wir haben auch eine große Abteilung mit Blechmusikern, die sind nicht so empfindlich,
wie wärs damit?“
„Um Himmels Willen bloß nicht! Die sind Schuld an meinem Tod. Wieso müssen die immer
so laut sein?“
„Das ist Moses' Schuld“
„Garnicht wahr!“ protestierte ein anderer sehr alter weißbärtiger Greis „ICH wollte nur ganz
leise, dezente Piepser!“
„Hä?“
„ Stellen Sie sich vor wie das damals war als wir durch die Wüste zogen: 40 000
Menschen mit Kindern und Vieh. Bis die morgens mal in die Gänge gekommen sind ….
ich hab gesagt: bei Sonnenaufgang gehts los. Ach vergessen Sie's. Irgendwo war immer
eine Ziege ausgebrochen und noch nicht gemolken und die Kinder wollten unbedingt
Nutella zum Manna oder oder … ich hab mir den Mund fusselig geredet „Hallo, es geht
los!“ aber bis die Letzten endlich losmarschiert sind, wollten die ersten vorne schon wieder
Mittagspause machen … ich war jeden Tag total heiser.“
Moses seufzte tief „In meiner Verzweiflung hab ich den Herrn angerufen: Mach doch bitte
was, dass mich jeder hört! Irgend so ne kleine flache Kiste, die jeder in der Hand oder in
der Tasche tragen kann und die dann piepst wenns losgeht. Oder wenigstens einen
Vibrationsalarm oder so was.
Aber der Herr meinte nur: „Och nö, die Erfindung von massenkompatibler Elektronik ist
erst für den Übergang 20. / 21. Jahrhundert geplant – mimimi“
Moses seufzte wieder „Ich hab ihn angefleht, dann doch bitte wenigstens die Erfindung
des Megaphons nach vorne zu verlegen. Stattdessen gab er mir 2 silberne gebogene
Röhren, nannte das „Trompete“ und meinte, damit sollte ich morgens das Signal zum
Aufbruch blasen. Soll ich jetzt noch auf Musiker umschulen oder was?
Aber die beiden Jüngsten von Aaron hatten gleich raus, wie man da Töne rauskriegt und
fingen an darauf rum zu blasen. „Ich kann aber lauter als du!“ –
„Na und, dafür kann ich
höher!“ und Gott der Herr meinte, er habe das extra so eingerichtet: sobald jemand diese
Trompete in die Hand nimmt, wird das Konkurrenz-Gen aktiviert, sodass sie sich immer
gegenseitig überbieten wollen. Also gib NICHT mir die Schuld!“
„Oh mein Gott!“ rief Maestro Caplin.
„Ja, was gibts?“
„Bist du dafür verantwortlich, dass sich Trompeter immer gegenseitig anstacheln, lauter
und höher und schneller und wer ist besser?“
„Damals hielt ich es für eine gute Idee“ entschuldigte sich Gott
„obwohl … ich krieg da in
letzter Zeit Meldungen, dass das anscheinend bei Frauen nicht so richtig funktioniert.
Aber da die erst seit etwa 50 Jahren Trompete spielen dürfen, liegen dazu noch keine
belastbaren Langzeitstudien vor.“
Maestro Caplin überlegte eine Weile „Aber sag mal, wenn du sowas ins Gehirn
einprogrammieren kannst, dann kannst du das doch auch wieder löschen oder
überschreiben?“
„Ja, können könnte ich das schon“ brummte Gott „aber wollen will ich das nicht. Die helfen
mir halt ganz gut bei meiner kleinen Rache“
„Wie bitte, Rache?“
„Ja, ja, ich weiß: Rache ist voll alttestamentarisch, mein Sohn schimpft deshalb auch
immer mit mir; er ist halt mehr so ein Softie mit Liebe und Vergebung und so. Er findet
Rache völlig out und sooo vorchristlich von Zeit her, aber wenn diese ganzen Heavymetal-
Musiker nur ein bisschen vernünftiger gewesen wären …“
„Was haben die denn jetzt damit zu tun?“ Maestro Caplin war nun völlig irritiert.
„Ja weißt du, als so vor etwa 30 Jahren die ersten richtigen heavy-metaller starben, hab
ich mich echt gefreut. Endlich mal ordentliche Musik hier. Ich mag heavy metal!
Die Engel geben sich ja wirklich Mühe, aber nach zig tausend Jahren „jauchzet frohlocket“
mit Harfen-Gezirpse geht mir das wirklich auf die Nerven.
Ist doch nichts Schlimmes, wenn man mal ein bisschen Abwechslung will oder?“
„Mmh nein“ sagte Maestro Caplin vorsichtig
„Ich hab die Metaller mit offenen Armen empfangen, wirklich, aber der Teufel hat ihnen
jeden Tag Konzert mit tausenden Fans und after-show-Party mit Alkohol, Drogen und
Groupies versprochen, da haben sie halt lieber den highway to hell genommen“ Gott
kuckte traurig
„Willst du mal sehen? Da vorne ist ein Wolkenloch, da können wir runter kucken“
„Wow, das nenn ich mal ein Konzert!“ Maestro Caplin staunte „die Bierkästen sind ja fast
so hoch wie die Boxentürme! Und diese Massen an Zuhörern. Dagegen ist Wacken ein
Kindergeburtstag. Hey, den Rickenbacker Bass kenn ich doch: ist das nicht Lemmy von
Mötorhead?“
„Ja,“ nickte Gott traurig „und da vorne …“
„Malcolm Young von AC/DC?“
Gott nickte wieder
„Kurt Cobain, John Perry von Judas Priest, Cliff Burton von Metallica … hey, da ist ja
wirklich die Creme de la Creme der Metallmusik versammelt! Und die sind alle in der
Hölle?„
„Nur auf eigenen Wunsch, das möchte ich ausdrücklich betonen!“ grummelte Gott.
„Aber mal so unter uns, der sound ist ja grottenschlecht! Ist das die Hölle? Geiles Konzert
aber mieser sound?“
„Jawoll“ grinste Gott „Das ist meine kleine Rache!“
„Hört sich irgendwie an wie ein Störsender, der dazwischen funkt.“
„So ungefähr: das sind die ganzen gestorbenen Posaunenchorleute aus den letzten knapp
200 Jahren, meine persönliche task-force. Am Ende einer Probe wollen die immer „noch
was Schönes zum Abschluss“ spielen und meistens einigen sie sich auf einen
Bachchoral.“
„Und die stören den sound bis in die Hölle?“
„Ja, die sind lauter und das sogar unplugged! Deshalb weinen die ganzen Metaller,
geschieht ihnen Recht! Wären sie mal lieber in den Himmel gekommen!“ grinste Gott.
„Moment“ protestierte Maestro Caplin „ Nur weil du das heavy-metal-Konzert in der Hölle stören willst, müssen tausende Dirigenten und Orchester-Kollegen in der ganzen Welt unter lautem Blechgetöse, 120 dezibel im Orchestergraben, Hörstürzen, Tinnitus und wasweiß- ich-noch-alles leiden? Ja sach mal, hast du sie noch alle?“
Gott zuckte die Achseln „nobody is perfect.“
Barbara Alban
EPC Eltville