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Weltrekord: 16.000 Bläser für ein Halleluja

Deutscher Posaunentag

Vom 30. Mai bis 01. Juni 2008 fand in Leipzig, der Wirkungsstätte von Bach, Mendelssohn Bartholdy, Reger u. a., das weltgrößte Bläsertreffen statt. Im Guinness-Buch der Rekorde ist dieses Zusammentreffen bereits mit dem Weltrekord für das größte Blechbläser-Ensemble der Welt ausgezeichnet. Der Deutsche Evangelische Posaunentag 2008 fand unter dem Motto „OHRENBLICK MAL!“ statt. Auch aus dem heimischen Raum hatten sich Musikerinnen und Musiker auf den Weg in die Messestadt begeben, um an dieser außergewöhnlichen Zusammenkunft teilzunehmen. Karin und Andreas Gramm, Leiter des Posaunenchores der Martinsgemeinde Heuchelheim, aus Krofdorf-Gleiberg und Anna-Lena und Sonja Schäfer aus Bad Endbach wollten sich diese „Mammut-Veranstaltung“ nicht entgehen lassen. Kennen gelernt hatte man sich über ein Forum im Internet, in dem man sich schon lange vorher eifrig über das Ereignis ausgetauscht hatte.

Zertifikat des Guinnessbooks
Zertifikat des Guinnessbooks
Veranstaltet wurde das Bläsertreffen vom Evangelischen Posaunendienst in Deutschland (EPiD), dem Dachverband aller evangelischen Posaunenwerke und -verbände. Von einem fünfzigköpfigen Organisationsteam wurde schon vor langer Zeit damit begonnen, dieses Großereignis vorzubereiten. Schließlich galt es, für ca. 20.000 Menschen für drei Tage Unterkunft und Verpflegung bereitzustellen, Spielstätten und Noten, Transportmittel und Parkplätze zu organisieren. Auch die Werbetrommel wurde fleißig gerührt. Sogar ein Auftritt in der Harald-Schmidt-Show wurde mit Bravour absolviert, bei dem das heimliche Motto des Posaunentages, „15.000 Bläser für ein Halleluja“, vorgestellt wurde. An der Spitze des Organisationsteams stand Klaus Geiger aus Schmiedeberg, der schon bei einem bundesweiten Bläsertreffen mit „nur“ 2.000 Bläsern sowie bei dem katastrophalen Oderhochwasser im Jahr 1997 seine organisatorischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt hatte.

Schon an der Eröffnungsveranstaltung auf dem Augustusplatz zwischen Oper und Gewandhaus, dem zentralen Kundgebungsplatz der Montags-Demonstrationen 1989, nahmen ca. 30.000 Bläser und Zuhörer teil. Das Wetter meinte es besonders gut mit den Teilnehmern: bei hochsommerlichen Temperaturen harrten sie bis zu sechs Stunden auf ihren Stehplätzen aus, um gemeinsam zu proben und zu musizieren. Sonnenschutz und Getränke fanden reißenden Absatz. Sonnenverbrannte Haut erinnerte viele Teilnehmer noch lange an diesen Tag.

Am Abend dann fanden 25 Konzerte in Leipziger Kirchen statt, in denen mit einem breiten Repertoire von Renaissance bis Neuzeit die Leistungsfähigkeit der kirchlichen Bläserensembles unter Beweis gestellt wurde. Da wurde heiter gejazzt und geswingt, aber auch ernste Töne etwa von Schauß-Flake oder Reger erklangen. Es fand sich niemand, für dessen Geschmack nichts dabeigewesen wäre. Die Eintrittskarten für alle Veranstaltungen waren dementsprechend schon lange ausverkauft.

Am Sonntagmorgen fanden auf 100 Plätzen Leipzigs und Umgebung gleichzeitig 100 Morgenmusiken mit je ca. 150 bis 200 Bläserinnen und Bläsern statt. Kirchen, Altenheime, Krankenhäuser, Schulen, öffentliche Plätze – sie alle waren Kulisse für den morgendlichen Weckruf an die Umgebung und ihre Bewohner. Die Besonderheit: Leiter und Musikerinnen/Musiker hatten sich nie zuvor gesehen. Alle hatten die gleichen Informationen: Ort, Zeit, Noten, Programm. Und trotzdem gelang es problemlos, gemeinsam zu musizieren, als wenn man sich schon jahrelang kennen würde. Kleine technischen Pannen konnten bei diesem Unternehmen natürlich nicht ausbleiben. Viele Teilnehmer waren aus Angst um ihren später einzunehmenden Platz im Leipziger Zentralstadion nicht gekommen. Von einem Standort wurde berichtet, dass kein Chorleiter erschienen war wegen einer falschen Wegbeschreibung. Von solchen Hindernissen lassen sich Posaunenchorbläser jedoch nicht abschrecken. Unter den Teilnehmern fanden sich gleich mehrere mit Chorleitung vertraute Musiker. Auf einen Leiter einigte man sich dann schnell und auch diese musikalische Morgenandacht konnte erklingen.

Die Abschlussveranstaltung im Leipziger Zentralstadion, dem ehemals größten Stadion Europas, krönte dieses außergewöhnliche Treffen evangelischer Bläserinnen und Bläser. Die Musik aus 16.000 Instrumenten ließ das Stadionrund ein ums andere Mal erbeben. Der Zeitplan der übertragenden Fernsehanstalten wurde durch wiederholt begeisterten Applaus der Teilnehmer arg strapaziert.

„Solo für Kontrabasstuba und Stadion“
„Solo für Kontrabasstuba und Stadion“ Foto: Andereas Gramm
Viele Kritiker hatten im Vorfeld der Veranstaltung in Zweifel gezogen, ob mit solch großer Zahl an Mitwirkenden überhaupt Musik erklingen würde oder nur blecherner Krach. Einige „musikalische Amokläufer“ fanden sich natürlich, die endlich einmal ihrer Umgebung zeigen wollten, wie laut und hoch sie doch zu spielen vermochten. Aber diese waren die Ausnahme. Immer noch bewegt erzählten sich später die Teilnehmer von ihrer Ergriffenheit und den Tränen in ihren Augen während des achtstimmigen „Jauchzet dem Herrn alle Welt“ Felix Mendelssohn Bartholdys. In dieser Weise hatte die Motette noch niemand gespielt.

Nach dem Festgottesdienst ließen es sich die begeisterten Bläserinnen und Bläser nicht nehmen, eine nicht enden wollende La-Ola-Welle mit ihren glänzenden und blitzenden Instrumenten durch das Stadion laufen zu lassen unter Begleitung eines ständig ertönenden, kräftigen B-Dur-Akkordes.

Den Schlußpunkt setzte das gemeinsam musizierte „Gloria sei dir gesungen“ von Johann Sebastian Bach. Das Phantastische für alle Beteiligten war dabei die Einigung auf das letzte Musikstück: Die Veranstaltung war eigentlich bereits beendet, alle Programmpunkte waren erfüllt, Absprachen oder Mitteilungen via Großbildschirm erfolgten nicht. Trotzdem wusste jede Bläserin und jeder Bläser, was sie/er zu spielen hatte, als zum Abschluss noch einmal überraschenderweise einer der dirigierenden Posaunenwarte auf das Spielfeldgrün trat, kurz die Arme hob und senkte, um Ruhe einkehren zu lassen und nach einer ganz kurzen Pause das weltgrößte Bläserensemble der Welt zu dirigieren begann.

Die Teilnehmer traten danach ihre Heimreise an mit Eindrücken, die sie noch lange beschäftigen werden. Großartigen musikalischen Erlebnissen und Erinnerungen an viele Begegnungen mit Gleichgesinnten, aber auch mit zahlreichen Leipzigern, die sich als Quartiergeber und Helfer gastfreundlich und herzlich gezeigt hatten.

Andreas Gramm
(Sonntag-Morgenmagazin, Gießen, 15.06.2008)